Ana Dimke (ad), Ulrike Haussen (uh), Angela Koehler (ak), Peter Dimke (pd)
Kunstdidaktische Professionalitaet ... Andrea Dreyer
Kunstdidaktische Professionalitaet ... September 2006 / ad /
Eine qualitativ-empirische Studie zum Selbstverstaendnis von Kunstlehrenden in Gymnasien hat Andrea Dreyer vorgelegt. In ihrer Dissertation versucht sie auf der Basis von 12 Interviews, 6 Schuleiterfrageboegen, 6 Schulportraits und 67 protokollierten Kunstunterrichtsstunden Antworten in einem Forschungsfeld zu finden, dass bisher ein so genanntes Desiderat war. Im Focus stehen 4 selbstreflexive Faelle: „ Fall 1... der eigenen Kunst den Ruecken gekehrt/ Frau Maler: Lehren aus Entschiedenheit; Fall 2 ... eine schoen(st)e Nebensache der Welt / Frau Baum: Kunst als Vermittlungsgegenstand; Fall 3 ... Lehrerin sein dagegen sehr/ Frau Blume: Kuenstlerin als Lehrberuf ein dilemmatisches Zwischenspiel; Fall 4 ... Lehrer aus Berufung/ Herr Froehlich: Ein Paedagoge im musischen Fach.“ In ihrem Resuemee geht Andrea Dreyer gegen den vermeintlichen „Mythos vom Kuenstlerpaedagogen“ an und kommt zu dem Schluss, dass sich die Kunstdidaktik staerker an die Allgemeine Didaktik anbinden lassen muesse. Mit diesem Vorschlag begibt sie sich allerdings weg von der Bildenden Kunst in Richtung einer zweifelhaften Verwissenschaftlichung, die wahrscheinlich mit einer erhofften Aufwertung des Faches und seiner Vertreterinnen verbunden ist. Bildende Kunst kann jedoch nur vermitteln, wer an einer Akademie bei Kuenstlern und Kuenstlerinnen studiert und sich der Bildenden Kunst verschrieben hat. Ansonsten bleibt es im nachfolgend entwickelten Unterricht bei aesthetischen Uebungen, angesichts sich derer sich Kunstprofessoren zu Recht die Augen reiben, wenn sie bspw. die Auswirkungen in den Bewerbungsmappen fuer ein Kunststudium sehen. Die Diskussion um die Profession der Kunstlehrenden ist mit dieser Studie insbesondere in Bezug auf die Ausrichtung des Studiums wieder eroeffnet. Konkret sollte sie Kunst-Lehramtstudierende zur Arbeit in einer notwendigen Forschungsrichtung animieren.
Andrea Dreyer
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ComputerGestaltungsPaedagogik ... September 2006 / ad /
Wer Hilfe fuer seine „Mixed Reality-Lernraeume“ in der Schule sucht, findet sie vielleicht in Daniela Reimanns Dissertation zur Medienbildung. Die umfangreiche Darstellung eines BLK-Modellversuchs ArtDeCom von 2001-2003 in Schleswig-Holstein beschaeftigt sich mit der Integration der Faecher Kunst und Informatik, also dem Modellieren von Umgebungen durch das Programmieren lernen, und moechte ueber Praxiserfahrungen curriculare Empfehlungen geben.
Ob im Zusammenhang mit einer technischen Ausbildung der Bedienung von Medien und Computern tatsaechlich Raum fuer kuenstlerisches Arbeiten im Unterrichtsalltag bleibt, wird nicht hinterfragt. Viel mehr wird offensiv und kritiklos fuer eine so genannte Medienpaedagogik geworben, was angesichts des laengst verblichenen NetArt-Hypes und des Zusammenbruchs des New Market zur Jahrhundertwende auch ein wenig verbluefft. Kunstdidaktische Reflexionen dazu, ob es tatsaechlich bspw. etwas wie Medien-Kunst geben kann, weil schließlich in der Kunst schon immer Material und Medien gebraucht und verwendet wurden oder warum bspw. die computergestuetzte Kunst mittlerweile wieder ein Phaenomen am Rande des Kunstbetriebs geworden ist, bleiben den nachdenklicheren Kunst-Lehrerinnen ueberlassen.
Der Gegentypus dazu ist der „zeitgemaeße Kunstpaedagoge“, der laut Reimann schon „um das Potenzial und die Bedeutung die technisch-informatorischen Inhalte“ weiß. Von ihr werden dann auch keine Argumente fuer die Legitimation des Faches Kunst geliefert, sondern sie plaediert fuer dessen Aufloesung zu Gunsten eines umfassenden technischen Gestaltungsbereichs. Hier bleibt nur der Gegenvorschlag zu machen, den Bereich des Design endlich an das Schulfach Mathematik anzugliedern, damit sich die Bildende Kunst mit ihrem geistigen wie konzeptionellen Potential besser entfalten kann.
Daniela Reimann
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Ein - Aus - Fuehrungen zur Vermittlung von Kunst ... September 2006 / ad /
Bei Reclam sind zwei sehr unterschiedliche Einfuehrungen zur Kunst erschienen, die jedoch beide einen hohen Anspruch vor sich her tragen. Mit dem einfachen Titel „Kunst“ wird deutlich welch umfassendes Werk Georg W. Bertram mit seiner philosophischen Einfuehrung vorlegen will. Der Titel von Nigel Spivey uebertrifft diese schlichte Formulierung jedoch gerade zu blasphemisch „Wie Kunst die Welt erschuf“.
In 8 Kapiteln wird hier versucht einen Bogen von den ersten 30.000 Jahre alten bildlichen Zeugnissen zur Kunst der Gegenwart zu schlagen, um zu zeigen, dass die Geschichte der Kunst mit der Geschichte der Menschheit verknuepft ist. Aber: Wer macht eigentlich Kunst - außer der Mensch? Oder ist diese Frage, vor den vielen hervorragenden fotographischen Abbildungen zur Kulturgeschichte, falsch gestellt? Schließlich soll es um den Anlass und die Ausfuehrung von Bildern gehen, darum „wie sich die Menschen als Kunstschaffende betaetigen und wie die Kunst uns zu Menschen macht.“ Mit diesem quasi-philosophischem Impuls werden laut Klappentext „uralte Phaenomene betrachtet und faszinierende Geschichten aus allen Teilen der Welt“ erzaehlt. Begonnen wird die Zeit-Welt-Reise jedoch in der juengeren Vergangenheit mit der Geschichte um Joseph Beuys Entlassung aus Kunstakademie in Duesseldorf. Jener habe unter dem Motto „JEDER MENSCH IST EIN KUeNSTLER“ zu viele Studierende in seine Klasse aufgenommen und sei, weil sich geweigert habe „diesen Glauben aufzugeben“, entlassen worden. Danach sehen wir, als Beleg des Beuys-Satzes, eine Hand, bzw. das Foto vom „Bild einer Hand auf einer Felswand in Arnhem Land, Australien, nicht datierbar“, um ueber detaillierte Ausfuehrungen zur Physiognomie der Hand im Unterschied zu Primaten und deren kulturgeschichtlichen Auswirkungen, sowie einen Abschnitt ueber die Sammelleidenschaft eines Laubenvogels und eine falsche Darstellung von Duchamps Ready-made, wieder bei Beuys zu landen. Die Eingangsfrage zu Menschheits- und Kunst-Entwicklung erweist sich als rhetorische. Der populaerwissenschaftlich angelegte Pfad zur Kunstvermittlung geht davon aus, dass „allein wir Menschen die imaginative Kraft besitzen, Symbole zu erschaffen, nicht nur die Welt um uns herum darzustellen“. Es soll einen Weg aufzeigt werden, „ wie wir unser Begabung entwickelt und trainiert haben: die Faehigkeit, Geschichten zu erzaehlen, soziale Hierarchien aufzubauen, Verbindung mit der Umwelt aufzubauen, Ausdruck zu finden fuer das Uebernatuerliche, Bilder von uns selbst zu entwerfen – und uns unsere unausweichliche Sterblichkeit ertraeglicher machen.“ Zumindest der Buchtitel und das scheußlich-simple Cover werden, duerften damit erklaert sein.
Enger bei der Kunst und seinem philosophischen Hintergrund bleibt Georg W. Bertram. Wobei er ueber die Kunst im Allgemeinen spricht, also im Ueberflug alles meint Musik, Bildende Kunst, Literatur etc. Orientierung bieten ihm dabei die Aesthetik-Klassiker wie Hegel, Baumgarten, Kant, Heidegger, Adorno, und auch Goodman und Dewey. Seine aus philosophischer Perspektive aufgeworfenen Fragen, koennten, im Kunst-Unterricht gestellt, das Diskussions-Niveau entscheidend heben: „Es gibt Kunstwerke... gibt es sie wirklich?“ - „Die nahe liegende Frage: Was ist Kunst?“ – „ Wann ist Kunst? Auf dem Weg zu einem anti-essentialistischen Kunstbegriff“ – „Ist Kunst eine Institution?“ - „Welchen Wert hat die Kunst fuer uns?“ – „Noch ein Problem: Was ist der Wert der Kunst?“ – „Wie nach der Kunst fragen?“ Bertrams Intention „Kunst als Selbstverstaendigung“ zu begreifen, trifft ins Zentrum der Kunstdidaktik. Seine Thesen sind im Kontext der Kunstvermittlung zwar nicht neu, aber ihre Entfaltung ist fuer die Kunstdidaktik erkenntnisreich, da er von Verstehensprozessen ausgeht: „Kunst muss in irgendeiner Art und Weise verstanden werden. (...) Verstehen heißt unter anderem: Unterscheidungen treffen, Strukturen erfassen. Solches Verstehen findet auch dann statt, wenn wir nicht zu sagen wissen, dass und was wir verstanden haben.“ Sich mit solch einer „geistigen Angelegenheit“ (Hegel) zu befassen, ist die Aufgabe des Kunstunterrichts. In ihm soll vermittelt werden, was Bertram selbst nicht als Selbstverstaendlichkeit auffasst, naemlich, dass es in der Kunst nicht nur um Form und Inhalt eines bestimmten Kunstwerks geht, sondern um die Bildende Kunst insgesamt. Darueber hinaus geht es aus kunstdidaktischer Perspektive auch entscheidend darum Erfahrungen mit Kunst zu ermoeglichen, Bildungserlebnisse auszuloesen. Diesen Situationen, in denen „Kunst die Rezipierenden anspricht“, geht auch Bertram unter dem Begriff „Innenperspektive“ nach, ohne dabei allerdings Duchamps nun fast 100 Jahre altes Diktum zu erwaehnen: >Ce sont les regardeurs, qui font les tableaux (Die Betrachter machen die Bilder) <. In der Aesthetik wird Kunst zum philosophischen Problem des „interesselosen Wohlgefallens“ umgewertet. Damit waere wieder einmal die philosophische Entmuendigung der Kunst (Danto) belegt. Vielleicht laesst sich der aesthetische Zugriff aber auch als Kunst-Rezipienten-Philosophie verstehen. Der Philosoph vertieft als sich demnach als geschulter Theoretiker in ein Werk, um die Erfahrungen fuer andere vorbildlich zu explizieren, oder wie Bertram es formuliert: „So kann man die Philosophie der Kunst als eine Weiterentwicklung der Kunst verstehen, in dem Sinn, dass die Explikation aesthetischer Selbstverstaendigung dazu beitraegt, solche Selbstverstaendigung reichhaltiger zu erfahren.“ Mit dieser kunstdidaktischen Formulierung kann man den Ausfuehrungen durch die Philosophie-Geschichte folgen. Die einzelnen Positionen sind lehrreich auf den Punkt gebracht und sie erscheinen als Textpassagen im Kunstunterricht gut einsetzbar.
Nigel Spivey
Georg W. Bertram
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Kulturdidaktik in der Bilderflut ... Maerz 2006 / ad /
Der Anspruch, ein Grundlagenwerk vorzulegen, laesst sich mit einer einfachen Titelgebung formulieren: „Kunstdidaktik“. Um diesen einzuloesen, stellen sich Kunibert Bering, Ulrich Heimann, Joachim Littke, Rolf Niehoff und Alarich Rooch gemeinsam der sogenannten „Bilderflut“. Dabei ist nicht eindeutig auszumachen, wer fuer was verantwortlich zeichnet. Mit ihren „Ueberlegungen zur Positionsbestimmung“ wollen sie Kunstpaedagogen Orientierung bieten. Da nur das Fach Kunst im Schulfaecher-Kanon, das Bild als solches problematisiere, wird bei ihnen der Kunstpaedagoge zum Experten fuer „Bildkompetenz“ und „visuelle Kompetenz“. Mit diesen Begriffen wird der aktuelle bildungspolitische Jargon aufgenommen, um sich oder auch die Belange das Fachs zu positionieren. Zentral geht es dem Autorenteam
also weniger um die Vermittlung von Kunst, sondern darum das Fach eher im Sinne einer Kulturdidaktik, neuen Bereichen zu oeffnen: Bildwelten, Medienkompetenz und Kulturkompetenz. Wem das jetzt als allzu viel und eindeutiges Kompetenzgerangel erscheint, wird im Kapitel „Kunstorientierter Kunstunterricht“ bestaetigt. Fuer die Unterrichtspraxis bietet die Publikation zwar ein theoretisches Anregungspotential, aber wie am Beispiel der Beschreibung des „Beuys-Happenings“ deutlich wird, ist eine kritische Auseinandersetzung mit dem dargebotenen Fachwissen nur unter Einbeziehung weiterer Quellen moeglich. Gerade bei der Darlegung von „Gestaltungsprozessen und produktiver Bilderschließungsmethoden“ verliert sich ein kunstdidaktischer Zugang und ein Lied von den Helden kommt der Leserin bei der schwerwiegend gemachten Kost in den Sinn: „Sie haben uns ein Denkmal gebaut ....“
Kunibert Bering, Ulrich Heimann, Joachim Littke, Rolf Niehoff, Alarich Rooch
zum Thema sind beim Athena-Verlag in der Reihe
Artificium - Schriften zu Kunst, Kunstvermittlung und Denkmalpflege
weitere Publikationen erschienen:
Joachim Kettel
Kunibert Bering, Rolf Niehoff
Carl-Peter Buschkuehle, Jutta Felke
Didaktische Kunststueckchen ... Januar 2006 / ak /
In der Einleitung der Publikation „Konzeptionen der Kunstdidaktik. Dokumente eines komplexen Gefueges“ wird die Frage beantwortet, was uns dieses Buch mitteilen will bzw. warum wir es benoetigen: Da die Heranwachsenden durch Medien einer zunehmenden Bilderflut ausgesetzt seien und das Umfeld des Menschen immer staerker von optisch wahrgenommenen Zeichen gepraegt werde, steigen die Anforderungen an die visuellen Wahrnehmungsfaehigkeiten, das fordere wiederum eine aesthetische Erziehung. In gegenwaertigen Theorien herrsche die Ueberzeugung vor, dass die Wahrnehmung kein Abbild der Welt liefert, sondern dass sich der Beobachter durch seine Wahrnehmung eine Wirklichkeit konstruiert. Schueler und Lehrer muessen lernen mit einer Vielzahl von Deutungsmoeglichkeiten im Klassenverband umzugehen und somit gelten fuer die Paedagogik heute veraenderte Aufgaben. Daher moechte das Buch in einem bestimmten, historischen Rahmen, die immer wieder neu getroffenen und zu treffenden didaktischen und paedagogischen Entscheidungen reflektieren, - so die Argumentation.
Bering, Cornelia / Bering, Kunibert / Hrsg.
Eine Frau und ihre Kuenstler ... Januar 2006 / ad /
Mit den Worten „Zu Beginn“, fettgedruckt und wohl bildhaft gemeint, leitet John Updike seinen Roman „Sucht mein Angesicht“ ein. Er besteht eigentlich nur aus einem Interview, dass eine Kunstjournalistin mit einer betagten und mehrmals beruehmt-vermaehlten Malerin fuehrt. Dies dauert einen Tag oder eben dreihundertundsechszehn Seiten lang. Wenn die ersten fuenfzig etwas ermuedenden Seiten ueberwunden sind, kann bei der Lektuere die Spannung aufkommen, die man braucht, um dieses Buch ueber die amerikanische Moderne zu Ende zu lesen. Geschildert wird das Leben beziehungsweise die drei Ehen einer Frau, die zunaechst mit einem Abstrakten Expressionisten (á la Pollock, der bei einem Autounfall stirbt), dann mit einem Pop-Art-Kuenstler (der sie wegen einer Pferdefluestererin verlaesst) und zuletzt mit einem Kunstsammler (neben dem sie endlich selbst zu ihrer Malerei findet) verheiratet ist.
John Updike
Bilderaugen - Augenbilder - ? - ... Oktober 2005 / ad /
Sind Bilder die Sprache des Unbewußten - ? - Unter dem hochgradig unter Kitschverdacht stehenden Titel „Die Weisheit des Auges“ macht sich Margarete Bruns auf den Weg zu den Bildern der Kulturen der Welt. Mit großer Geste breitet sie ihr reichhaltiges Bildermaterial aus, indem sie schreibt und schreibt und schreibt, vom bilidi dem Wunderzeichen, ueber die altaegyptische Bilderwelt, die kalligraphische Kunst Ostasiens, die perspektivische Darstellung der Renaissance bis in unser Jahrtausend hinein. Was zunaechst die aeußerliche Anmutung einer wissenschaftliche Vorgehensweise zu haben scheint, ist weit entfernt von einer akademischen Analyse. Am Anfang erscheint es der Leserin noch vergnueglich, sich auf eine unsinnige Suche nach dem Urbild zu begeben und sich ganz sprachbewußt einmal das bilidi zu vergegenwaertigen: „Das altsaechsische bilidi meinte Wunder(zeichen), Urbild, wahrer Sinn. Die Bedeutung *bil ist nicht ganz klar, aber sie koennte mit der Grundvorstellung geistiges Wesen, uebernatuerliche Kraft zu tun haben“. - ? - „Auch die Sprache bezeugt, dass es urspruenglich um Bilden im Sinne eines primaeren schoepferischen Aktes geht, waehrend ein Abbilden anscheinend erst relativ spaet von den Bildern erwartet wird. Das althochdeutsche Verb biliden bedeutete einer Sache Gestalt und Wesen geben. Das juengere bilidon will dann nur noch eine eine vorgebildete Gestalt nachbilden.“ Diese etymologischen Bedeutungen kann man sich merken, im Text selbst wird nicht mit ihnen weiter gearbeitet, sondern mit einem bunten Mix aus Kuenstlerzitaten, Beobachtungen von Kinderzeichnungen und kognitionspsychologischen Erkenntnissen aus der Mustererkennung, sowie aus der Hirnforschung einschließlich religioeser Motive aufgewartet, um schließlich bei der Einsicht zu landen: „Bilder sind Bilder sind Bilder autonome Wesenheiten.“ Waere nicht auf der naechsten Seite die Erzaehlung von der fuenfjaehrigen Tochter eines Hobbyarchaeologen, die mit ihrem Ausruf „Stiere“ auf die Zeichnungen in der Hoehle von Altamira aufmerksam machte und das unbestimmte Gefuehl, es ginge der Autorin zentral um das Sehen von Bildern, gleichgueltig wie sie entstehen, haette die Bildungswillige das Buch spaetestens jetzt bei Seite gelegt. -? - Nach rascherem Durchblaettern und laengerem Haengenbleiben des Blicks an schoenen, farbigen Abbildungen findet sich jedoch auch im letzten Kapitel ein zusammengetragenes Sammelsurium, dargestellt mit pseudophilosophischen Spruengen in einer teilweise plumpen Sprache mit schiefen Metaphern. Hinzukommt, dass die Autorin kein wirkliches Interesse an der Bildenden Kunst zu haben scheint, so versteigt sie sich beispielsweise dazu, in Pollocks Werk „Number 32“ nach Strichmaennchen zu suchen und, man reibt sich die Augen, dies zu allem Ueberfluss auch noch bildlich zu belegen. Alles fließt und muendet irgendwo weit weg von der Kunst, der Kunstgeschichte, der Kunstkritik: im Tal der ahnungslosen Bilder.
Margarete Bruns
Ein Ratgeber fuer Kunstsammler und andere ... September 2005 / ad /
Ein bißchen gewollt humorig und laessig aber gleichzeitig gekonnt vermittelnd und unterhaltsam kommt „Das Kunstkaufbuch“ daher. Wer sich von dem, zwischen Pop und Schulbuchkitschigkeit schwankenden, Layout des Hardcovers nicht abschrecken laesst und die viel zu fette Schrift im Innern, die das Ganze auf ueber 60 Seiten aufblaeht, (von der farblichen Orange-Blau-Gestaltung ganz zu schweigen) ignoriert, bekommt tatsaechlich in 20 Minuten einen guten Grundkurs zur Gegenwartskunst geboten. Wie in der Einfuehrung versprochen, koennte sich die Rezipientin nach der Lektuere, wohl nicht ganz ohne Vorbildung aber mit einigen Kriterien an der Hand „ganz entspannt und aufgeschlossen mit einem unbekannten Kunstwerk beschaeftigen“. Wem selbst dieser Zeitaufwand zu groß ist, bekommt in der „Kurzform fuer Ungeduldige“ zehn Qualitaetsmerkmale von Werken aufgelistet: Emotionale Praesens, Dialogcharakter, Form und Inhalt, Vermittlung einer Erkenntnis, fragliche Aesthetik, Innovation, Gegenwartsbezug, Authentizitaet, Originalcharakter, mystischer Aspekt. Deren Anwendung in der daraufhin folgenden Kurzanalyse an einem Bild von Musa laesst die gestrafften Thesen allerdings etwas behaebig erscheinen, zumal sich knapp vor einem Fazit, was denn nun von dem Bin Laden als Nude zu halten sei, gedrueckt wird.
Das vorgefuehrte Frage-Antwort-Spiel duerfte Kunstvermittlern bekannt sein und sie in ihren gaengigen Antworten bestaetigen. Dennoch wird auch fuer sie hier einiges auf den wunden Punkt gebracht, wie die Frage,... ob es tatsaechlich Kriterien oder Qualitaetsmerkmale von Kunst gibt? ..., ob Kunst Luxus ist? ... ,ob Kunst Spaß machen soll?
„Kunst hat mit Geschmack nichts zutun“, wie Martin Leyer-Pritzkow und Klaus Sebastian zu recht betonen und deshalb braucht man ihnen auch nicht in ihrer Reklame zum Kunstkauf blind zu folgen. Im Gegenteil, sie glauben an den Betrachter als Interpret und seine konstitutive Rolle fuer die Kunst und ihren Betrieb. Angesichts solch herausgestellter Betrachtermacht sollten Kuenstler sich nicht beleidigt fuehlen, zu mal sie ja immer noch das schaffen, woran sich die sogenannten Kriterien bilden sollen. Zuviel vom Prozess der Kunst wird in diesem Buch auch nicht verraten – obgleich es ein brauchbarer Ratgeber ist.
Wenn ambitionierter Kunstunterricht schon nicht jeden zum Kunststudium bringen kann, so waeren hier indirekt einige Bildungsstandards aufgelistet, die viele zu erfolgreichen Betrachtern werden lassen koennten. Denn das, was als Kunst gelten soll, bestimmen sie schließlich mit. Nicht nur durch ihr Kaufen und Sammeln, auch durch den Diskurs in der Bildenden Kunst.
Martin Leyer-Pritzkow + Klaus Sebastian
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Auf der Suche nach dem Kuenstler im Kunstwerk ... September 2005 / ad /
Das Aufgebot von 85 Selbstportraets, beginnt mit Vvolvinius, und fuehrt ueber van Eyck und Duerer, van Dyck, Gentileschi, Rubens, Rembrandt, Vigée-Le Brun, Courbet, Cézanne, Munch, Corinth, Duchamp, Hoech, Oppenheim, Beuys, Warhol zu Gonzalez-Torres, Cattelan und Richter. Die Vielfalt ist beeindruckend. 1000 Jahre Kunstgeschichte werden großformatig, großartig, großspurig dargestellt. Durch diese Fuelle entsteht der Eindruck der Rundumschlag haette lieber in einem Sammelordner praesentiert werden sollen, so koennte das Kompendium zumindest aeußerlich der impliziten Intention, ein Nachschlagewerk sein zu wollen, nachkommen.
Die Werke und die Kuenstler werden in immer gleich lang gehaltenen Textbeitraegen in so unterschiedlicher Art und Verve beschrieben, dass der praesentierte Mix aus Gemaelden und Kleinkunstwerken, aus Zeichnungen und Buesten weniger zum Vertiefen, als zum lockeren Durchblaettern einlaedt.
Neben der Frage, was das eine Portraet mit dem anderem zu tun hat, taucht eine weitere auf: Was ist eigentlich ein Portraetforscher? Der Klappentext gibt Auskunft: Er geht der Frage nach, wer die Person war, die hinter einem Werk steht und versucht zu ergruenden, in welchem kulturgeschichtlichen Kontext sie gelebt hat, wie die kuenstlerische Entwicklung verlaufen ist und welches Selbstverstaendnis sie hatte. Unter der These, das sich am besten am Selbstbildnis zeigen lasse, wie ein Kuenstler gesehen werden wolle, wurden die Werke ausgewaehlt. Bereits im Vorwort wird deutlich, die genaue Bildbetrachtung allein ist nicht hinreichend, wenn man sich dem Themenkomplex der Identitaet und Identifikation, die doch immer auch Fiktion ist, naehern will. Beschrieben wird die „Verlustgeschichte des Bildnisses und des Selbst“ seit Burckhardt. Leider finden kuenstlertheoretische Statements keine Beruecksichtigung. Dabei lassen sich nur ueber die Sprache und das Sprechen eines Kuenstlers seine Sichtweisen diskursiv fassen. Hinzukommt der Betrachtungsabstand, der immer groeßer zu werden scheint, je mehr der Kuenstler sich selbst zum kuenstlerischen Material macht. Das Selbst des Kuenstlers im Portraet, loest sich von der kuenstlerischen Persoenlichkeit und im Werk lagert sich jener Bedeutungsueberschuss ein, der es erst zu Kunst werden laesst. Ein privater Schnappschuß koennte dem neugierigem Personenforscher mehr Preis geben.
Dieses schoen gedruckte Buch eignet sich durchaus als Materialsammlung fuer einen Oberstufenkurs und Kenner von 1000 Meisterwerken freuen sich bestimmt, einmal etliche Portraets hintereinander gebracht bekommen zu haben.
Hrsgb. Ulrich Pfisterer + Valeska von Rosen
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Uebersichtsausstellungen zur Kunst des 20. Jahrhunderts ... eine Auswahl von Katalogen ... September 2004 / ad /
BILDERSTREIT.
STATIONEN DER MODERNE.
DIE EPOCHEN DER MODERNE.
AMERIKANISCHE KUNST IM 20. JAHHUNDERT.
METROPOLIS.
ZEITGEIST.
KUeNSTLERINNEN DES 20. JAHRHUNDERTS.
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Was ist Kunst? ... Andreas Maeckler ... September 2004 / ad /
Vor siebzehn Jahren, am 17.9.1987, schreibt Fritz Billeter im TagesAnzeiger ueber den von Andreas Maeckler zusammengetragen Zitatenschatz zur Kunst unter dem Eindruck, dass hier nicht „glaeubige Bildungsbeflissenheit“ am Werke sei, sondern eher der glueckliche Geist des Amuesements waltet; „Was Kunst nun wirklich sei, weiß man nach der Lektuere vielleicht erst recht nicht, denn Maecklers Gewaehrsleute (aus zwei Jahrtausenden) widersprechen sich oft schroff und oft auf der selben Buchseite.“ Das Selektionsprinzip, das diesem Kompendium von 1080 Aussagen zu Grunde liegt, ist der jeweilige Versuch einer Definition, was an der Formulierung „Kunst ist...“ festgemacht wird. Alles andere ist beiseite gestellt und der Autor will sich dies auch nicht zum Vorwurf machen lassen. Nach der Einleitung nimmt er eine Zuordnung vor: Kunst – als Know-how, - als Ordnungssystem, - als Natur, - als Wissenschaft, - und Schoenheit, - und Metaphysik , - als spezifische menschliche Taetigkeit, - als Politikum, - als Kommunikation, - als Sublimation, - als Leben, - als Kunst.
In Art – dem Kunstmagazin - ist dann auch zum Erscheinen der Publikation ein Aufruf zu finden, der alle, die zitieren, koennen, muessen, wollen oder sollen vor „exzessiver Ausbeutung des Taschenbuchs“ warnt und zum „maeßigen Garnieren“ ihrer Reden und Texte mit den gesammelten „Lesefruechten“ raet.
Hier noch einmal einige Kostproben von bildenden Kuenstlern zum frommen Nutzen dargebracht:
¶ … Die Kunst ist eine Quelle des Erkenntnis wie die Naturwissenschaft, die Philosophie usw. Antoni Tàpies
Maeckler, Andreas
Was ist Kunst? 1000 Antworten
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Pure Verehrung ... André Raffray ... September 2004 / ad /
Auch wenn man nicht nachvollziehen kann, warum es Sinn machen sollte, gerade die Werke von Duchamp nach zu malen, so erstaunt einen doch die Energie und Penetranz, die Akribie und Penibilitaet mit dem Andre Raffray hinter anderen Kuenstlern und ihren Werken her ist, um sie, die anderen, zu loben. Die Bilder, wie anhand einer Fotodokumentation zu den Desmoiselles d´Avignon demonstriert, werden nicht mit Duktus und Schwung malerisch nachvollzogen, sondern in das Medium der Bunstiftzeichnung ueberfuehrt. Abschnitt fuer Abschnitt wird abgearbeitet. Mit dieser Konstruktion soll dem jeweiligen Motiv von Mondrian, Cézanne, Matisse oder Seurat nachgespuert werden. Raffray begibt sich fuer den nachzuahmenden kuenstlerischen Blick auf aufwendige Reisen. Ausgestattet mit fotografischen Equipment passt er sogar Tageszeiten und Stimmungen an den Orten ab. In ihrer Rezension fuer DIE ZEIT vom 11.3.1999 bringt Ursula Bode inniges Verstaendnis fuer den „Augentaeuscher“ auf. Sie findet die „die Realitaet einer Zeichnung, die Wirklichkeit eines wiedergefundenen Ortes, die Genauigkeit und Sorgfalt verehrender Zuneigung, die Demut eines Außenseiters, der obsessiv mit seinem Thema umgeht“ anziehend. Das der Zeichner schon frueh viel gelobt worden ist, zeigen auch die im Buch abgedruckten Briefe des Lehrers von Raffray, von der École A.B.C. de Dessin. An ihnen ist ablesbar, wie man einen Schueler eng an Vorgaben bindet und zur Disziplin in der Ausfuehrung anhaelt.
André Raffray
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Kunst praktisch gesehen ... Johannes Kirschenmann + Frank Schulz ... August 2004 / ad /
Geschrieben fuer den Gebrauch im Kunstunterricht in der 11. Klasse, unter dem Anspruch Lust zur eigenen praktischen Taetigkeit zu wecken, wird in diesem Buch ein bunter Beispiels-Reigen verschiedener kuenstlerischer Positionen vorgestellt. Unter dem Titel „Praktiken der modernen Kunst" sind Johannes Kirschenmann und Frank Schulz bestrebt, verschiedene Aspekte kuenstlerischer Vorgehensweisen aufzuzeigen und eine praktische Uebersichtlichkeit herzustellen. Der Ansatz, kuenstlerische Prinzipien zu fokussieren und knapp anzureißen, erscheint fuer die Konzeption und Durchfuehrung von Unterrichtseinheiten praktikabel und zeitgemaeß.
Am einleitenden Zitat von Arnold Hauser, jeder kuenstlerische Ausdruck setze ein technisches Verfahren voraus, laesst sich die praktische Intention des Buches ablesen. Ausgehend von der redundant wirkenden Spruchweisheit „Kunst kommt von Koennen“ wird versucht, argumentativ ueber das Besondere der Kuenstler in der Moderne zu landen. Ihre jeweiligen kuenstlerischen Vorgehensweisen werden hier Praktiken genannt. Das Bildende der Kunst wird unter dem Anfuehrungsstrichen des „sogenannten“ beiseite geschoben und damit die Theorie, nicht nur die der Kunst, sondern auch die der Bildung. Der Begriff Bildende Kunst beruht bekanntlich auf einer Verknuepfung von Bild und Bilden bei Herder. Gemeint ist hier nicht das Gestalten eines Werks, sondern die bildende Wirkung der Kunst auf den Menschen. In diesem analytischen Lichte ist wohl auch der andernorts ebenso erschoepfend haeufig, wohlweislich aber nur zur Haelfte zitierte Spruch Goethes: „Bilde Kuenstler! Rede nicht! Nur ein Hauch sei dein Gedicht.“ - zu sehen.
Betont man die Praxis der Kunst, so koennte man das Feld der konnotativen Bedeutung auslotend fragen: Ist Kunst eine Praxis? Laesst sich Kunst praktizieren? Ist Kunst praktikabel? Was zeigt, dass kuenstlerische Vorgehensweisen zwar beschrieben werden koennen, aber sie immer auch kommentarbeduerftig, also vor der jeweiligen Kuenstlertheorie und dem Kunstbegriff zu sehen sind. In Folge koennte dann von kuenstlerischen Strategien und Konzeptionen die Rede sein, und damit kunstdidaktisch ein philosophical turn vollzogen werden.
Das Motto „Praktiken“ verweist auf die Materialorientierung beziehungsweise den Arbeitsprozess und legt sich auf eine Begrifflichkeit fest, die nach kunstpaedagogischem Fachjargon klingt. Wobei fuer manche Leserin bei diesem Ausdruck durchaus das Sexuelle mitschwingen moechte. Leider profitiert das Schulbuch von dieser Assoziation wenig, denn das Material wirkt auf den ersten Blick etwas hastig und lieblos zusammengestellt, so als ob es sich um Notizen, Fundstuecke, Zitate handelte, die sich als Textmaterial oder zur Ausarbeitung von Unterrichtsvorschlaegen auf dem Schreibtisch angesammelt haben und nun sortiert zum Tragen kommen sollen: kurze Erlaeuterungen und Bildbeschreibungen, eine Vielzahl von Zitaten, Abbildungen von unterschiedlicher Anmutungsqualitaet und ein paar knappe Handlungsanweisungen zur Nachahmung fuer den schnellen Lehrer bzw. dessen Schueler, wie man sie aus der eher praktizistisch angelegten Fachzeitschrift Kunst + Unterricht kennt.
Die Auswahl der kuenstlerischen Positionen erscheint willkuerlich, das evoziert Fragen wie: Steht deshalb immer ein vorsorgliches "zum Beispiel" davor, wenn ein Kuenstler angefuehrt wird? Warum wird ein Atelierbesuch bei Werner Tuebke so zentral dargestellt? Warum werden Duchamps Readymades (wider besseren Wissens?) unter der Rubrik Objekte praesentiert? Wie kurz eine an Praktiken orientierte kunstdidaktische Vorgehensweise greifen kann, zeigt sich an der Vermengung der Ready-mades mit Picasso Plastiken. Die dazugehoerige Handlungsanweisung lautet: „Stellen Sie selbst ein Objekt her, indem Sie alltaegliche Dinge in neue Zusammenhaenge bringen wie Marcel Duchamp oder einer neunen Verwendung zufuehren wie Pablo Picasso.“ Hier zeigt sich die grundsaetzliche Problematik mit der Nachahmung einer Kuenstleraesthetik in der Schule zu arbeiten. Einerseits erscheint es durchaus sinnvoll, zu vermitteln und erfahren zu lassen, dass buchstaeblich alles im Laufe des letzten Jahrhunderts zum kuenstlerischen Material gemacht worden ist, anderseits kann im vereinnahmenden, aesthestischen Aktionismus die geistige, strukturelle Auseinandersetzung mit Kunst, als das andere, welches eben nicht wiederholt, sondern staendig anders gedacht, gesehen und gemacht werden muss, versacken. Eine Einweisung in den kuenstlerischen Nachvollzug kann den Kunstunterricht grundieren und einen Einstieg in die eigene Arbeitsweise vorbereiten, indem man darauf setzt, das Lernende, aehnlich wie Frank Stella, irgendwann einfach keine Lust mehr haben die Werke anderer nachzumachen, sondern selbst etwas formulieren wollen. Ein Vorteil des Durchdeklinierens des Schon–Dagewesenen liegt darin, das man eben nicht staendig Bereits-Erfundenes oder -Gemachtes fuer sich neu erfinden oder machen muss.
Die Kategorisierung der sogenannten Kunstpraktiken nach Prinzipien wie Collage, Objekt, Zufall, Raum, Aktion, Konzept, technische Medien, sichert noch keine Diskursivitaet, die kann aber jeder Lehrende durch Auswahl und Kontextualisierung des Dargebotenen schließlich selbst herstellen. Beim Gebrauch des Buches draengt sich dann auch mehr Theorie als angekuendigt ins Bild und die Drohung, zu ganz unmittelbarem Verstehen fuehren zu wollen, loest sich in der verstaendlichen Anleitung zum ersten Umgang mit Kunst auf.
Kirschenmann + Schulz
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Basislektuere zur Bildenden Kunst ... Susanne Partsch, Ulrich Reißer + Norbert Wolf ... August 2004 / ad /
Nimmt man ein gelbes Reclambuechlein zur Hand, so wird einem das unglaubliche Preis-Leistungsverhaeltnis bewusst, mit dem dieser Verlag seit Jahrzehnten seinen Beitrag zur Aufrechterhaltung unserer Kultur, besonders in Sachen Literatur, Dramen wie Epen nebst Materialien liefert. Bereits in der Schule wird man an dieses erschwingliche Format herangefuehrt und wissenschaftspropaedeutisch auf das vorbreitet, was einmal studiert werden koennte. Im Erwachsenenalter bleibt der Eindruck des Puren und Glaubhaften sentimental bestehen und auch eine hoch gestimmte Erwartungshaltung, wenn zwei neue Publikationen die eigene „Universal-Bibliothek“ bereichern sollen. So koennen die Baende Kunst-Epochen 20. Jahrhundert I. und II. zwar nicht mit Abbildungen protzen, aber die Fuelle des zusammengetragenen Wissens kann mit seinem Detailreichtum beanspruchen Basislektuere zu sein.
In der Einfuehrung zum Band I setzt sich Susanne Partsch mit der Un-Moeglichkeit auseinander, eine Uebersicht der ersten fuenf Jahrzehnte des letzten Jahrhunderts geben zu koennen. Verantwortlich ist der Lauf der Geschichte. Zu viele parallele Ereignisse in der Kunst, Stroemungen, die sich abwechselten, bekaempften, durchdrangen, machen es der aufmerksamen Beobachterin schwer, angesichts des „Stilpluralismus“ eine komplette Zusammenfassung zu liefern. Zwei Aspekte stellt sie zur Orientierung gesondert heraus: die Antiposition zu autoritaeren, tradierten Strukturen, die zu „vermeintlich“ neuen Kunstauffassungen fuehrt und den Individualismus, der zur Originalitaet verpflichtet. Vom Monte Verità aus sieht Partsch auf die sich entwickelnde Ideengeschichte der Kunst und ihre Verbindung zum Leben. Ebenso, wie den in seiner bildenden Bedeutung der Aufbruchsstimmung immer noch nicht genuegend ins kulturelle Bewusstsein gerueckte Huegel von Ascona, betont sie den Platz, den Bildende Kuenstlerinnen historisch einnehmen muessten. „Die Geschichte der Kunst der ersten Haelfte des 20. Jahrhunderts ist auch eine Frauen-Kunst-Geschichte, was so lange betont werden muss, bis sich die immer noch maennlich dominierte Kunstgeschichte endlich darauf verstaendigt hat, die Werke der Frauen ebenso zu wuerdigen wie die der "genialen Maenner"!“
Ueberprueft man diese emanzipatorische Haltung, indem man die ebenso kenntnisreich wie dynamisch geschriebene Abhandlung zu den Gattungen ueberspringt, an dem Zahlenverhaeltnis, der in diesem Buch mit Einzelabschnitten bedachten Maennern und Frauen, so kann man sich allerdings je nach geschlechtlicher Mentalitaet beruhigt oder enttaeuscht zuruecklehnen – der Kuenstler ist und bleibt dominant.
Band II wurde von zwei Maennern konzipiert und geschrieben. Auch hier begegnet der Leserin im Vorwort zunaechst eine Entschuldigung, dass nur Fallstudien dargestellt werden koennen. Unter diesem bescheidenen Anspruch werden von Ulrich Reißer und Norbert Wolf 50 Jahre der juengeren Kunstgeschichte so entfaltet, das sie subjektiv gesehen durchaus klassisch komplett wirken. Malerei, Plastik, Objekt und Installation sind die Leitbegriffe, unter denen die Einfuehrung in die Zeit gelingt, die Postmoderne genannt wird, wobei auch die Autoren einraeumen, dass man nicht genau sagen kann, was damit eigentlich gemeint sei. Deutlich wird, wie im „komplexen Gefuege Kunst“ letztlich alles zum kuenstlerischen Material werden kann. Damit verbunden ist eine Abwertung konventioneller aesthetischer Formen, es treten andere Strategien auf den Plan, die sich mit dem System Kunst selbst auseinander setzen. „Ihr Protagonist war und ist Marcel Duchamp.“ Reißer und Wolf sprechen zu Recht vom Duchamp-Effekt, der auch eine Aufwertung der Rolle des Betrachters nach sich zieht. Unter der erfrischenden Prognose, dass sich „das Karussell der institutionalisierten Kunst“auch im Medienzeitalter munter weiter dreht, werden die folgenden 400 Seiten zu einem lehrreichen Vergnuegen.
Die in beiden Baenden Raum greifend erwaehnte Architektur wurde in dieser Besprechung beiseite gelassen.
Zusammenfassend bestaetigt sich, dass Anspruch und Wirklichkeit der kleinen gelben Buecher immer noch uebereinstimmen - fuer Schule, Studium, Beruf und Freizeit: absolut „empfehlenswert“.
Partsch, Reißer + Wolf
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Kunst ohne Fragezeichen ... Maria Carla Prette + Alfonso De Giorgis ... August 2004 / ad /
Blaettert man die aufwendige, reichhaltig bebilderte, hervorragend gedruckte Hardcover-Publikation von Maria Carla Prette und Alfonso De Giorgis auf, so fuehlt man sich gleich zum lexikalischen Stoebern animiert und zum amuesiert verweilenden Betrachten eingeladen: Renoirs Bildnis Jeanne von 1877, ein Stillleben von Morandi von 1940, Ingres Napoleon I. auf dem Kaiserthron, eine Miniatur des Sachsenkaisers 0tto III. aus dem 10. Jahrhundert und eine Abbildung des dritten Sargs in massiven Gold von Tut-ench Amun treffen auf einer Doppelseite aufeinander. Laesst man die Seiten mehrfach ueber die Daumen gleiten, zeigen sich Bilder unterschiedlicher Kulturen, Pyramiden, Filmstills, Verkehrsschilder, Comics, sich reckende Voegelkuekenhaelse, die Laokoongruppe, Himmelfahrt Mariens, barocke Hoefe, Pointillismus, Benetton, Pop Art, Farbe in der Natur, chinesische Tempel, Guernica, Kinder im Luftschutzgraben, Architektur. Viele bunte Graphiken scheinen das Gesehene erlaeutern zu wollen. Auf den letzten Seiten befindet sich noch ein Glossar, in dem beispielsweise auch der Begriff Tattoo erklaert wird. Klappt man ob dieses Rundumschlags den Waelzer erstaunt wieder zu und schaut noch einmal nach dem Titel, so steht einem das Fragezeichen, das dort zu fehlen scheint, ins Gesicht geschrieben: „Was ist Kunst“. Der Untertitel „Bauwerke, Skulpturen, Gemaelde, Epochen und Stile erkennen und verstehen“ suggeriert, es koenne sich um ein Lehrbuch handeln. Das Inhaltsverzeichnis ist entsprechend uebersichtlich gegliedert. Doch angesichts des bunten Durcheinanders muss der Grad der Oberflaechlichkeit und Diffenziertheit dieser Publikation von jedem Rezipienten selbst getestet werden, wenn er sie verwenden will.
Prette, De Giorgis
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In einer idealen Galerie ... Boris von Brauchitsch ... August 2004 / ad /
„Ich lese nie, ich sehe mir nur Bilder an.“ Mit diesem Statement Andy Warhols auf dem Schutzumschlag wird die von Boris von Brauchitsch vorgestellte Galerie des 20. Jahrhunderts eingelaeutet. Ironie oder Hoffnung, was schwingt da mit, wenn im Klappentext weiter von einer „idealen Galerie“ die Rede ist, die das Kunstgeschehen erkennen laesst, welche der „Traum eines jeden Kunstliebhabers“ sei?
Tatsaechlich sind hier wie versprochen sehr uebersichtlich 100 „Meisterwerke“ versammelt. Der Text auf der linken Seite bezieht sich auf das abgebildete Werk zur rechten. Die brillante Druckqualitaet korrespondiert mit den gerechterweise jeweils gleich lang gehaltenen Texten, denen ein beige unterlegtes Kaestchen mit der Ueberschrift "Ereignisse der Geschichte" beigefuegt worden ist. Das Layout zwischen Katalog und Lehrbuch koennte den ein oder anderen Dozierenden dazu verfuehren, DinA4 – Kopien zu ziehen. Geht der aeußere Umschlag verloren, so praesentiert sich das Buch auf Deckel und Ruecken in schlichtem Orange ohne Schrift, womit wir wieder bei der Frage nach der Bedeutung des eingangs erwaehnten Wahrhol-Zitats waeren. Ist die erste vorangestellte Abbildung, "L.H.O.O.Q." Duchamps Postkarten-Schnurrbart-Mona-Lisa, ein weiterer Hinweis zur Lektuere? „Kunst hat mit Geschmack nichts zu tun.“(Max Ernst) lautet das Zitat zum Vorwort. Von Brauchitsch versichert darin glaubhaft, dass es sein Anliegen sei, Kunstwerke zu praesentieren, die „rueckblickend Ausdruck ihrer Entstehungszeit sind und etwas spiegeln vom Geist einer bestimmten Epoche“. Intendiert ist auch ein „verbindendes Netzwerk“ darzustellen, dies soll durch „die Bildfolge, die Texte, die Aussagen der Kuenstler und Kritiker sowie die Verweise auf historische Ereignisse“ geschehen. Es fehlt also der verbindende Text, eine Erzaehlung zu dieser subjektiv gefaerbten, vorgestellten Galerie. Wurde sich um eine nachvollziehbare kunstwissenschaftliche Begruendung der Auswahl gedrueckt? Dies koennte als erfrischend unakademisch aufgefasst werden, dafuer kommen jedoch die einzelnen Bildbeschreibungstexte gerade wegen fehlender Fußnoten zu schlicht daher. Den Diskurs der Kunst muss der Rezipient also selbst betreiben, aber dafuer wird er hier fuer den ersten Ueberblick mit Bild und Text gut bedient.
von Brauchitsch, Boris
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Kunst bis heute, alt und neu ... Karin Thomas ... August 2004 / ad /
Mit ihrer Stilgeschichte der bildenden Kunst im 20. Jahrhundert hat Karin Thomas einen Klassiker geschrieben, der in keinem kunstinteressierten Haushalt fehlen duerfte. Wegen dieses Bekanntheitsgrades koennte es sich also lohnen, eine aeltere mit der gerade erschienenen neusten 12. Auflage zu vergleichen. Das Nachschlagewerk hat ein ansprechenderes gelbes Cover bekommen, das immer noch, allerdings nun mehr allein, Robert Indianas LOVE- Ikone und das Frauengesicht Roy Lichtensteins zieren, auf der Rueckseite bestaetigt ein Videostill von Pippilotti Rist den Anspruch auf Aktualitaet. Die Widmung fuer Ruediger T. wurde auf schlicht Ruediger gekuerzt. Das uebersichtliche Inhaltverzeichnis ist mit Angabe der Kapitel- und Zwischen-Ueberschriften bis zur Seite 308 genau gleich geblieben. Die Abweichung danach erklaert sich leicht. Es sind ein paar Abbildungen von Werken hinzugekommen, wie Kippenbergers U-Bahn-Eingang oder Nan Goldins „Jimmy Paulette on David’s Bike“. Die Bilder befinden sich nach wie vor gebuendelt in Farbe oder schwarz-weiß an vier Stellen des Buchs. Weitere Graphiken sind in den Text eingestreut. Dem letzten Kapitel „Pluralitaet der Zeichen – postmodernes Bewusstsein“ ist ein dritter Abschnitt „Ausweitung und Interferenzen der kuenstlerischen Medien“ hinzugefuegt worden, in dem Fotografie, Video und Cross-over thematisiert werden. Das dem Buch vorangestellte Glossar der Fachbegriffe ist etwas erweitert, jedoch nicht wirklich verbessert worden, so ist beispielsweise unter Ready-made nach wie vor folgende fehlgehende Beschreibung zu finden: „Von Marcel Duchamp 1915 erstmalig bewusst praktizierter Akt in der Kunst, der vorgefundene, oft industriell produzierte Gebrauchsobjekte ohne oder mit geringfuegiger Veraenderung in der Erscheinung mit Titeln versah und zum Kunstwerk erklaerte (>Fontaene<)“; - bis heute.
Thomas, Karin
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Alles ueber die Malerei des 20. Jahrhunderts ... Karl Ruhrberg ... August 2004 / ad /
In einem pflegeleichten Gummieinband ueber dessen aesthetische und haptische Qualitaeten sich streiten laesst, praesentiert sich ein neues Standardwerk zur Malerei des 20. Jahrhunderts. Blaettert man den 840 Seiten starken Band durch, so meint man einen Kunstkatalog vor sich zu haben und wuenscht sich zu jedem der neun Kapitel haette eine Ausstellung, wie dargelegt, stattgefunden. Angesichts des gleichmaeßig voranschreitenden Textes, der sich nicht im Theoretischen verheddert, und des zur Anschauung gebrachten Bildmaterials, erscheint es nicht lohnend, Fragen nach der Konzeption oder der Auswahl der Kuenstler zu stellen, die Vielfalt erschlaegt die Kommentarbeduerftigkeit. Der hermetische Block besagt: Das ist es und es ist gut so.
Ruhrberg, Karl
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In 24 Stunden durch die Moderne ... Uwe M. Schneede ... Juni 2002 / ad /
Will man schon im ersten Zugriff etwas ueber die Bildende Kunst und deren Entwicklung lernen - so macht man sich auf die Suche nach einem Einfuehrungswerk. Uwe M. Schneedes "Die Geschichte der Kunst im 20. Jahrhundert" liefert klar gegliedert, praezis wie angenehm subjektiv geschrieben einen Ueberblick voller Details.
Diese Geschichte koennte als Lehrbuch fuer Kunst-Leistungskurse empfohlen werden und dies ist nicht abwertend gemeint, im Gegenteil: Schneede wagt es mit seiner Zusammenfassung eine innere Entwicklungslogik auszubreiten, an der sich Lernende wie LehrerInnen mit ihren Vorwissen anheften und eine MerkStruktur aufbauen koennen.
Schneede beginnt mit Visionen, beschreibt Verwilderungen, stoesst auf Formfragen, zeigt das Inne-werden und den Aktionismus, wirft die Frage nach dem Werk auf und erklaert bildnerische Verfahren. Immer wieder taucht Picasso auf, aber auch Duchamp bekommt seinen Platz. Zwischen Figuration und Atelier finden sich biographische Stuecke. Der ausserkuenstlerische Versuch die Moderne auszuloeschen bleibt wohltuend knapp gefasst, stattdessen wird ausfuehrlich das Sublime der fuenfziger und der AlltagsPop der sechziger durchstriffen. Nach dem Ausstieg wird der Einstieg in die Kunst als Malerei vorgefuehrt, Beuys und Nauman werden dazwischen positioniert.
Was zu kritisieren waere, wenn man sich nicht zu schnell beeindrucken lassen will, sind: die etwas zu geraffte Zusammenfassung von den letzten 40 Jahren Kunst und die Verve mit der das Buch geschrieben ist, denn Suggestivitaet laesst wenig gedanklichen Raum fuer Gegenthesen. Schneedes Stil verfuehrt zum beschleunigten LektuereTempo, so dass man nach einer Tag- und Nacht-Schicht die LeseReise quer druch die Moderne schaffen koennte.
Schneede, Uwe M.
"Die Lust am Experiment, die Neugier bei der Suche nach unverbrauchten Ausdrucksmoeglichkeiten und der Drang zu widersprechen muessen als Motoren eines im Grunde stets unabsehbaren, spontanen Weiterschreitens der Kunst genuegen. In diesem vermeintlich bodenlosen Szenario fuehrt Schneede den Leser mit leichter Hand von den fruehen Avantgarden bis zur Medienkunst unserer Tage, und es gelingt ihm spielerisch, Schwellenaengste abzubauen oder gar nicht erst entstehen zu lassen. Seine Erzaehlung ist zwar dicht und materialreich, doch keinesfalls akademisch-trocken oder theorieueberfrachtet. Keine unverstaendliche Fachterminologie versperrt den Blick auf Kunst und Kuenstler, der Autor setzt ganz auf Anschaulichkeit und sprachliche Praegnanz, sein Ziel ist Vermittlung. Gerade der wenig vorgebildete Leser wird nicht hilflos zurueckgelassen, sondern geschickt zu erhellenden Einsichten geleitet."
"Klar, anschaulich und mit Blick auf das Wesentliche schildert dieses Buch des renommierten Kunsthistorikers und Museumsdirektors Uwe M. Schneede in 22 Schritten den Weg der Kunst von den Revolten der Avantgarde bis zu den Medienkuensten der Gegenwart. Eine vorzuegliche Einfuehrung fuer jeden kunstinteressierten Leser."
"In der knapp gefassten Geschichte der Kunst im 20. Jahrhundert (...) laesst die Praezision der Beschreibung, mit der er das Material erfasst, nichts zu wuenschen uebrig. Die Sicherheit, mit wenigen anschaulichen Begriffen komplexe Zusammenhaenge darzustellen, verraet einen Kenner der Materie, der aus der Ausstellungspraxis kommt. Man hat das Gefuehl, von ihm in einem imaginaeren Museum herumgefuehrt zu werden, in dem der Hausherr jedes Exponat so in den Blick rueckt, dass wir die Dinge ploetzlich mit seinem Blick sehen. (...)
"Wenn eine Kunstgeschichte lustvolles Lernen ermoeglicht, dann diese. Uwe Schneede, einst Professor fuer Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts in Muenchen, seit 1991 Direktor der Hamburger Kunsthalle, hat eine gut gegliederte und erfreulich lesbare Geschichte zur Kunst des vergangenen Jahrhunderts geschrieben. Neben den praegenden Stroemungen treten auch (fast) alle wichtigen Personen von Edvard Munch ueber Marcel Duchamp bis zu Georg Baselitz auf. Dabei doziert der Autor so gar nicht vom Katheder herab, sondern sieht sich eher als Erzaehler, der generoes und frei von Eitelkeiten Wissen und Einsichten ausbreitet. Eine beeindruckende Jahrhundertreise."
"Sehr anschaulich und anekdotenreich stellt er herausragende Kuenstler vor und macht Zusammenhaenge zwischen den unterschiedlichen Kunststroemungen deutlich."
KinderBlicke / Kindheit und Moderne von Klee bis Boltanski ... August 2002 / ad /
"Kind und Kunst" geht das zusammen - ohne das eine oder andere zu versimplifizieren oder zu funktionalisieren? Der Mythos vom schoepferischen Kind und der Kuenstlernatur des Kindes wurde in der Romantik gehegt und trat besonders in den Krisenzeiten des 20. Jhds. erneut hervor. Auf der Suche nach unverbrauchten, innovativen Ausdrucksformen sehen die Kuenstler in den Zeichnungen von Kindern eine Naehe zum Ursprung kuenstlerischer Kreativitaet. So wurden von den Kuenstlern des Blauen Reiters Kinderzeichnungen gesammelt, um sich mit der kindlichen Formensprache auseinanderzusetzen. Insbesondere Gabriele Muenter anverwandelte sich dem fuer Kinder typischen Stil - kopierte ihn geradezu. Auch Paul Klee beschaeftigte sich mit seinen eigenen Kinderzeichnungen und liess sich von denen seines Sohnes anregen. In seinem Spaetwerk werden jedoch statt Kindheitsidealisierungen Akte der Dressur und Aggression herausstellt. Nach dem II. Weltkrieg vollzog die Gruppe COBRA nicht nur Ikonographie und Stil der Kinderzeichnung nach, sondern auch den unverstellten Umgang mit Farbe und Material. Diese Beispiele zeigen bereits die kunsthistorische Bedeutung und die Tradition der kuenstlerischen Auseinandersetzung mit den Bildern von Kindern.
In dem umfassenden Katalog zur Ausstellung "KinderBlicke“, die genau vor einem Jahr in der Staedtischen Galerie Bietigheim-Bissingen gezeigt wurde, wird der Komplex Kindheit und Kunst sorgsam in Themen gegliedert. Neben dem direkten Interesse von Kuenstlern an kindlichen Ausdrucksformen, werden Bildnisse von Kindern bzw. das Bild, dass Kuenstler von der Kindheit haben, vorgestellt und nebenbei kleinere Ausfluege zu Spielzeug aus dem Bauhaus und Kinderbuechern von Kurt Schwitters und El Lissitzky unternommen.
Im Reigen der Kinderdarstellungen versammeln sich unter anderem: seelisch und gemuetvoll Genrehaftes von Max Liebermann und Paula Modersohn-Becker, psychologisch Sozialkritisches der Neuen Sachlichkeit von Otto Dix, Otto Nagel und Conrad Felixmueller sowie Mythologisch-analytisches von Pablo Picasso.
Als bekanntestes Kindermodel wird Fraenzi herausgestellt. Fasziniert und erotisiert spueren Kirchner und andere der Kuenstlergemeinschaft Bruecke der Kindfrau malerisch wie zeichnerisch nach. Da Missbrauch mit dem begehrenden Blick beginnt, sucht Gerd Preseler, denn Tabubrueche werden dem Kuenstlerischen ja zugeschrieben, die Darstellungen mit Zitaten zu neutralisieren. Er kommt zu dem Schluss, das es in der Tat, "mit dem Blick auf die Kindermodelle, um Bewegung und Form" ginge und begnuegt sich mit dem Hinweis, dass sich Kirchner neue Moeglichkeiten der Aktdarstellung in dem zur Frau erwachenden Maedchen erschlossen haben. Die Chance zur Analyse wird vergeben, auch bei der weiteren Schilderung der Akte ist nur von kindlicher Bewegungsfreude und malerischer Formensprache die Rede. Die Bildbesprechungen bleiben aufgesetzt unschuldig wie voyeuristisch, anruechig und anekdotisch bis zur Langeweile.
Letzter Makel zieht sich leider durch einige Katalogtexte: Ausfuehrliche Beschreibungen dessen, was man ohnehin auf den Bildern sieht. Die fundierte Quellenwiedergabe entschaedigt den Leser ein wenig. Mit Humor kann er deshalb dann auch zur Kenntnis nehmen, dass ein Autor ihn erstmal methodisch einweist und beschreibt, wovon er nicht schreiben will, weil schon soviel darueber geschrieben worden ist - hinsichtlich Klee.
Eine gelungene Wendung nimmt die Lektuere mit dem abschliessenden Blick auf die zeitgenoessische Kunst. Es zeigt sich noch einmal eindruecklich die Bedeutsamkeit des kuenstlerischen Motivs: Kind. Zwischen Zynismus und verlorener Unschuld fuehrt der Weg raus aus dem heilen Bild der Kindheit hin zu einem Ort der Analyse - fuer jeden.
KinderBlicke / Kindheit und Moderne / von Klee bis Boltanski
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was man von den 68ern erwartet haette ;-) ? ... Karlheinz Schmid / Maerz. 2002 / pd /
"Kuenstlerin und Kuenstler, Ende 1999 / Anfang 2000, sind reif fuer eine voellig neue Stellenbeschreibung, fuer eine Positionierung, die von gefundenen Schlupfloechern zeugt, die weite Taeler einer voruebergehend vernachlaeessigten Auseinandersetzung bietet. Ich denke dabei an das Beuys-Erbe, an die gesellschaftlichen Schleifspuren der sozialen Plastik. Rikrit Tiravanija, Jahrgang 1961, in Thailand aufgewachsen, dann in Kanada zu Hause, schliesslich in New York ansaessig, steht fuer dieses neue Kuenstlerbild einer freundlichen, um Mitmenschlichkeit und Kommunikation bemuehten Generation, die letztlich umsetzt, was man von den Achtundsechszigern erwartet haette (doch die sonnen sich lieber in der Rolle der Maler-Fuersten, Abteilung letztes, vorletztes Jahrhundert, vierspaennig und wenigstens fuenf- bis sechsstellig).
Tiravanija, Central Kunstpreis-Traeger, hatte 1996 im Koelnischen Kunstverein seine New Yorker Wohnung nachgebaut, um Tag und Nacht, in der Tat 24 Stunden ununterbrochen, allen Unterkunft zu geben, die eine Unterkunft suchten. (...)"
Schmid beschreibt locker und bewertet hart: Kunstbetrieb, Kuenstler, Kunsthandel, Sponsoren, Sammler, Kulturpolitik, Medien und Museum. Mit einer schoenen Kapitelueberschrift ruft er den Katatstrophenalarm zum Familiendrama Kunsthochschule aus. Das Buch aus der Plaudertasche der Statementreihe vom Lindinger + Schmid Verlag GdbR kann man ohne Anstrengung an einem Nachmittag auf sich einstroemen lassen. Die als Massage eingestellte Sicht auf die Felder der Kunst und ihre Betriebsamkeit hinterlaesst keine Spuren, macht aber einiges deutlich - und zwar an ca. 500 Personen des "System Kunst".
Schade, dass der Begriff des "Betriebsystem Kunst", der ja bekanntlich aus der Computertechnologie entliehenen ist, den Autor nicht dazu verfuehrt hat, sich einmal auf dem, von der bildenden Kunst vernachlaessigten Feld der Netzkunst umzusehen. Dort, also vor allem im Internet, haette er einige Verbuendete getroffen, die seinen politischen Ansatz auf andere Art und Weise verwirklicht haben. Diese Netzartisten sind allerdings an der Auszeichnung "Kuenstler" eher desinteressiert. Sie nennen sich Aktivisten, Artisanen, Hacker, hidedotcom oder gar nicht. Ein Ausschluss netzkuenstlerischer Anstrengungen, die nicht direkt im Hinblick auf die bildende Kunst oder die Moderne (Konzeptionalitaet, Kontextualitaet, ...) angelegt sind, erscheint mir aber problematisch, denn die substantielle Bedeutung von Kunst / Moderne/ Heute liegt in ihrer Erneuerung auf sogenannt ausserkuenstlerischen Feldern: Werbung (Toscani / Benetton), Musik-Clips (Kraftwerk, Pet Shop Boys, Bjoerk, Yellow), Fernsehen (Schmidt, Schneider, Ulmen, Stuckrad-Barre), Netz (CCC, jodi, etoy, rtmark). Damit sind die kuenstlerischen Methoden veraendert. Sie sind als ausdrueckliche Strategien der Beobachtung (der Beobachter) von Kunst und Gesellschaft zu verstehen, wobei die Aktivisten im Internet sozusagen noch unerkannt der Spezifizierungsphase ihres Mediums verhaftet sind. Das aber haben die anderen, damals neuen Medien, auch hinter sich bringen muessen.
Vielleicht koennen die nachfolgenden Zitate aus dem "Kunstbetrieb im Umbruch" zu einem munter ironischen Einstieg in das Thema gemacht werden.
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Beruf Kuenstler bedeutet heute, Genie zu sein, ohne es zu sagen / Karlheinz Schmid
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