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Zeit in Kompression ... Shopping-Kritik von Hanno Rauterberg

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Super Billig Kunst ;-) ? ... eine Erweiterung der Begriffe / pd / Oktober 2002 / wir erinnern uns

Super! Billig! Kunst! … auf den ersten Anschein interpretiere ich einmal so:

etwas ist super und billig, dann ist es Kunst ?

die Unterzeile: „eine Frankfurter Ausstellung zeigt Künstler im Kaufrausch - und macht das Museum zum Marktplatz“ verkehrt die Bedeutungsvektoren: es zeigt sich, dass der Ort der Kunst, hier der Schirn-Supermarkt, auf dem Wege ist, super billig zu werden. Wenn zu Kunst Super gesagt wird, dann waere sie also billig?

die Kritik von Hanno Rauterberg in der Zeit Nr. 41 / Oktober 2002 zeigt ihn – eigentlich wie immer: kompetent, wortgewandt, witzig aber _Strich_drunter auch konservativ „die Risiken und Nebenwirkungen der Pop-Art sind lange schon bekannt“. Auch Joseph Beuys, der aus dem Vorzeigestadium einer deutschen Kuenstlergeneration zum Klassiker gewechselt ist, haelt Rauterbergs kritischen Kriterien (leider bleiben sie unerkannt weil unbenannt) nicht Stand – „er (…) wollte Hochkunst und Alltagsdesign zusammenführen, den Gegensatz von Bauch- und Kopfprodukten aufheben. Heute riecht dies Verlangen nach Heilung ranzig.“ Dabei stinkt einem doch eher das esoterische Theoriekonglomerat á la Rudolf Steiner oder sein Einstand als Schlagersaenger der gruenen Bewegung. Das Beuyssche Werk als Performance oder Installation ist ueber Rauterbergs Zweifel erhaben.

diese Einschaetzungen Rauterbergs in bezug auf die Kunst der Moderne gehen auf kuentstlertheoretische Entscheidungen der Jahre 1913/14 zurueck. Damals hatte Marcel Duchamp, der von Rauterberg als "geheimer Übervater der Frankfurter Ausstellung" vorgezeigt wird, mit dem ready-made-Begriff die Frage gestellt, "ob man Werke machen kann, die keine Kunst sind" und nicht, wie Rauterberg argumentiert: "Als er einst ein Urinal ins Museum brachte, war dieses noch ein erhabener Raum, der mit seiner Würde das Pinkelbecken adelte. Wenn aber die Schirn zum Supershop verkommt, ist das Urinal nur Urinal." Duchamps Versuch hatte schon damals angezeigt, dass der Kunstbetrieb keine kunstlosen Werke der Kuenstler zulaesst. Das Urinal wuerde, so es ueberhaupt existiert, ein Kunstwerk bleiben - egal in welcher Bedeutung sich die Kunsthalle Schirn darstellt.

Zurueck zu Shopping, zu Kuenstlern im Kaufrausch. Auch wenn sie, dort angekommen, den Dingen ihren Warencharakter belassen wollten, sie koennten die Veraenderung zum Wahrencharakter der Kunst nicht verhindern; egal ob Tengelmann von Tengelmann selbst installiert worden waere. Kunst lebt heute durch den kunstspezifischen Blick der Zeit auf das, was als Kunst benannt wird – sei es nun schoen oder haesslich (gemacht). Nicht was ein Kuenstler Kunst nennt, ist Kunst - durch die blickhafte Qualitaet des Betrachters in seiner Zeit ist die Differenz (und sei sie noch so schmal) einzusehen, die Kunst ausmacht und sie von dem trennt, was alles andere ist.

Alles Andere - in bezug auf Kunst und Shopping im Katalog:

Closing Down Sale von Michael Landy, S. 16
Fotografien von Albert Renger-Patzsch, Hans Finsler bis Stewart Bale, S. 118, 32, 111
Ohne Titel (Zigarettenautomat) von Marko Lehanka, S. 89
Less than Ten Items von Maurizio Cattlelan, S. 89
Warengestell mit Vasen von Katharina Fritsch, S. 211
Brillo Boxes von Mike Bidlo, S. 210
Eeasy. Breezy. Beautiful. von Sylvie Fleury, S. 235
Spar Loop von Gunilla Klingberg, S. 253

Was bleibt - Kunst und Shopping im Katalog:

Untitled (Art Déco bust, display mounts, necklaces) von Haim Steinbach S. 209
Mystery Box von Ben Vautier, S. 192
Grand Opening of The American Supermarket in der Bianchini Gallery, S. 170
Einladung zu Leben mit Pop, S. 179
Schliess heute ein Kaufhaus zu, oeffne die Tuer nach hundert Jahren, und du hast ein Museum moderner Kunst von Andy Warhol, S. 91
Duty-Free-Shopping von Mark S. Taylor, S. 52
“Die Prada-Strategie laeuft offenbar darauf hinaus, das Einkaufen wieder attraktiv zu machen, indem man Konsum-Museen eroeffnet.” Inzwischen hat sich allerdings gezeigt, dass exklusive Modelaeden durch Museen ebenso wenig zu retten sind, wie Museen durchs Shopping. So steht denn auch zu vermuten, dass die SoHo-Filiale von Prada, weniger einen Neuanfang darstellt als vielmehr das Ende einer Aera einleitet.
Shopping bis zum bitteren Ende von Julian Stallabrass, S. 229
(…) haben sie sogar einen unmittelbaren Angriff auf das Shopping gestartet, vor allem mit einer Kampagne gegen den Online-Giganten Etoys, der rechtliche Schritte unternahm, um die Kunstwebsite etoy schliessen zu lassen. Ihre Aktion war so effizient, dass sie (zusammen mit der Rezession) die Firma kaputtmachte. Vielleicht waren die radikalsten und produktivsten Werke der letzten Jahre nicht diejenigen, die in der Kraft des Konsumismus begruendet waren, sondern jene, die an seine Grenzen und darueber hinausgingen.
99 Cent II von Andreas Gursky, S. 215
als Fotoillustration auf dem Katalog-Umschlag angemessen, als Diptychon alles andere

hatjecantz.de/frames.php3?lang=de

Shopping
Katalog zur Ausstellung erschienen bei hatje cantz
Deutsch / 272 S., 330 farbige Abb.
25,40 cm x 28,50 cm / gebunden
2002, lieferbar / EUR 39,99 SFR 70,00
ISBN 3-7757-1213-5

Kunst und Konsum im 20. Jahrhundert

»Shopping« meint mehr als bloßen Warenerwerb. Das Bummeln, Betrachten, Auswählen, Einkaufen und Konsumieren von Waren ist im 20. Jahrhundert längst zu einem wichtigen Teil urbanen Lebens geworden. Shopping ist ein wesentliches Ritual des öffentlichen Lebens, durch das Identität geschaffen und transformiert wird. Seit Walter Benjamins Beschreibung des Flaneurs in den Passagen von Paris im 19. Jahrhundert sind die komplexen Wechselwirkungen zwischen Warenpräsentation und Konsum zu einem Thema geworden. Der Band »Shopping« widmet sich zum ersten Mal umfassend dieser Thematik. Er dokumentiert und analysiert die Faszination bildender Künstler, Architekten und Filmemacher mit den immer raffinierteren Mitteln der Verführung zum Konsum in Schaufenstern, Warenhäusern und Einkaufspassagen. Ausgiebig illustriert das Buch die Wechselwirkung zwischen Kunst und Konsum mit Werken von Eugène Atget, Berenice Abbott, Walker Evans, Claes Oldenburg, Andy Warhol, Roy Lichtenstein, Christo, Duane Hanson, Barbara Kruger, Jeff Koons, Andreas Gursky und vielen anderen. Mit Beiträgen von international renommierten Autoren legt das von Christoph Grunenberg und Max Hollein herausgegebene Buch eine facettenreiche Grundlage für die Diskussion über dieses uns allen so teure Thema. (Englische Ausgabe erhältlich ISBN 3-7757-1214-3)

Ausstellungen: Schirn Kunsthalle, Frankfurt/Main 28.9.-1.12.2002 + Tate Liverpool 20.12.2002-23.3.2003


Nochmal zurueck zu Shopping, zu Kuenstlern im Kaufrausch (…) das bedeutet dann auch, dass eine noch so langweilige Ausstellung die Dinge nicht vom Kopf auf die Fuesse zurueck stellt. Es bleibt dabei: eine Ausstellung ist so oder so und Kunst ist Kunst oder eben keine Kunst. Letztlich macht es Rauterberg da schon richtig und schreibt die Ausstellung um, zu einer amuesanten und kritischen Unterhaltung im Feuilleton der Zeit.

zeit.de/2002/41/Kultur/200241_shopping.html

Und hier zur Erweiterung der Kritik, die Kritik von Hanno Rauterberg selbst, die hier den Zusammenhang herstellen soll, zitiert als kleingedrucktes in 80%iger Kompression von Word 2000, sozusagen die Rueckseite eines Shoppingvertrages als aussergewoehnliches Dokument in Anfuehrungszeichen:

„Der Beuys stinkt. Ein wenig modrig und dumpf steigt er einem in die Nase. Offenbar ist den vielen Tütchen und Flaschen dort auf dem rostigen Regal die Lagerung nicht gut bekommen. Vor über 20 Jahren hatte Joseph Beuys den Tafelweizen, die Haushaltsgraupen und das Doppel Caramel Malzbier zu Objekten für die Ewigkeit erklärt, er hatte sie ins Museum gebracht, sie abgestellt zwischen Ölbildern in goldglänzenden Rahmen. Er reihte Produkte aus Ost neben Produkten aus West, wollte Hochkunst und Alltagsdesign zusammenführen, den Gegensatz von Bauch- und Kopfprodukten aufheben. Heute riecht dies Verlangen nach Heilung ranzig.

Gleichwohl wird Beuys erneut zum Kronzeugen aufgerufen. Zusammen mit anderen Großkünstlern ist er seit vorigem Freitag in einer ungewöhnlichen Ausstellung der Frankfurter Schirn-Kunsthalle zu sehen, die das Beste aus beiden Welten verrühren möchte: das schreiend Oberflächliche der Kaufhäuser mit dem Tiefgang der Museen. Vorgeführt wird, wie impulsiv viele Künstler der letzten hundert Jahre auf die Macht der Produkte ansprangen. Immer wichtiger wurden die "Schaufensterqualitäten der Dinge" (Georg Simmel), immer schärfer die visuellen Reize der Werbung, immer verunsicherter die Maler und Bildhauer.

(…)

Heute sieht man in der Warenwelt die Kunst vor lauter Bildern nicht mehr - jedes Produkt ist sein eigenes Großgemälde.

Supermarkt als Galerie

Da flüchten manche Künstler ins Unbildliche des Minimalismus, andere ziehen aus nach Absurdistan.

(…)

Vor allem der Einkaufswagen hat es vielen angetan: Er wird vergoldet (Fleury), wird zur Stretch-Limousinen-Fassung gelängt (Cattelan), wacker mit Planen verhüllt (Christo). Und auch in Normalform bekommen wir ihn vorgeführt, gleich hinter der Eingangstür zur Schirn-Ausstellung. Dort steht man unversehens im fröstelkühlen Neonlicht eines Supermarkts der Marke Kaiser´s Tengelmann. Hier gibt es, was es überall gibt: Delikatess Schinkenwurst Prämium und die Bild vom Tage, sogar für eine Pinnwand mit Suche-Biete-Kärtchen hat Guillaume Bijl, der Künstler, gesorgt.

(…)

Wir erleben einen Kaufrausch in Zwangsaskese - und plötzlich wirkt die Steinofenpizza in der Kühltruhe wie ein Kunstwerk hinter Vitrinenglas.

(…)

Für die Schirn wurde dieser American Supermarket nun rekonstruiert, nochmals bekommen wir Schinken, Birnen, Tomatensuppe serviert.

(…)

In den Sechzigern galt diese Verwandlung der Galerie in einen Marktplatz als lustvoller Skandal.

(…)

Das Spiel der Produkte, die Selbstkarikatur als Mittel der Werbung, ist ihm zu vertraut, als dass er noch staunte. Man muss nur über Hamburgs Flughafen gehen, dann weiß man, wie hoch die Reiz- und Kunstschwellen liegen: Da sieht man eine Menschenpuppe im Einreiher, die unentwegt ihren Kopf an die Wand haut, geschützt nur von einem Motorradhelm. Auch eine steppende Riesenwurst ist zu besichtigen oder eine Limousine, die kopfüber an der Decke hängt, gehalten scheinbar nur von kaugummigleichen Klebebändern. Um für Reisebüros oder Mietwagen zu trommeln, bedient sich hier die Werbung großzügig bei den Künstlern, bei einem McCarthy, von Huene oder Catellan - und belustigt uns im Vorübergehen. Wenn umgekehrt Künstler die Warenästhetik ausbeuten, wenn sie Schaufenster abmalen, Regale fotografieren oder die Schnäppchen ihres Boutiquenbummels zu Kunst erklären, dann wirkt das meist läppisch.

(…)

Konsumterror? Nie gehört

Selbst dort, wo die Kunst übergroß wird, verliert sie den Machtkampf um die Aufmerksamkeit. Als wäre es der letzte Versuch, die Blicke endlich wieder auf die Künste zu ziehen, hat Barbara Kruger für Shopping ein Warenhaus mit zwei gewaltigen Transparenten überzogen, auf jedem ein stummfilmgraues Riesenauge und Sinnsprüche wie "Du willst es, Du kaufst es, Du vergisst es".

(…)

Die Leute aber strömen vorbei, niemand kümmert die optische Großtat. Zu sehr sind wir an die Transparente gewöhnt, die überall Häuser werbend verhängen.

Ähnlich ist vieles, was Shopping vorführt, eher wirkungs- und belanglos. Das müsste uns nicht weiter wundern; die Risiken und Nebenwirkungen der Pop-Art sind lange schon bekannt. Neu ist indes, dass sich nach der Kunst nun auch das Museum von der Markt- und Warenlogik inspirieren lässt. Schon von weitem winken einem Schaufensterpuppen aus den Fenstern der Schirn entgegen. Und unten am Eingang sind die Scheiben mit Plakaten verhängt, die uns mitteilen, dass hier künftig ein Auktionshaus residieren werde.

(…)

Die Stadt Frankfurt hat für Kultur kein Geld mehr, und eine Museumsschließung würde eigentlich niemanden wundern. Zumal der neue Schirn-Direktor Max Hollein, der Erfinder von Shopping, kräftig an der Selbstabschaffung mitwirkt.

Besonders deutlich wird dies auf der Frankfurter Zeil, denn das Kaufhaus mit den Riesenaugen von Barbara Kruger ist nicht nur Bildträger für die Kunst, es ist auch Werbeträger für die Ausstellung. Über den Körbchen mit den Fotoecken oder Feinstrumpfhosen sticht uns das Shopping-Logo ins Auge, an den Rolltreppen stehen Plakate, die mit Tomate und Bindfadenrolle für "Warhol!" und "Christo!" werben. Am Ausgang dann grüßt uns die Aufforderung "... und jetzt zu Shopping".

(…)

Das alles mag man als verspäteten Ulk der produktgläubigen Neunziger abtun, als missglückten Versuch, die Institution Museum selbstironisch durchzulüften. In Wahrheit aber offenbart sich in Holleins eilfertiger Kooperation mit dem Warenriesen eine Bewegung, die sich längst überall beobachten lässt: Nach der Entkunstung der Kunst durch die Pop-Art erfolgt nun die Entmusealisierung der Museen. Von diesen begreifen sich viele als Unternehmen und richten ihren Shops große Räume ein. Das Guggenheim-Museum geht sogar so weit, von Armani gigantische Spenden anzunehmen, um dann dessen Mode zur Kunst hochzuspielen.

Was Warhol, der "Schutzheilige der Schaufensterdekoration" (Simon Doonan), einst prophezeit hatte, dass Museen zu Kaufhäusern würden, scheint nun einzutreten. Auch Hollein, der im Guggenheim seine Lehrjahre verbrachte, hat die Scheu vor Selbstvermarktung und den Willen zur Kulturkritik verloren. Kein Wort verliert er über Markenterror und Konsumzwänge - alles, was er von der Kunst fordert, ist "faszinierte Teilnahme".

(…)

Denn wenn das Museum nur als jüngste Außenstelle der Vermarktungsideologen erlebt wird, dann erscheinen auch die Kunstwerte als Kunstwaren. Selbst Marcel Duchamp, geheimer Übervater der Frankfurter Ausstellung, hätte es dann schwierig. Als er einst ein Urinal ins Museum brachte, war dieses noch ein erhabener Raum, der mit seiner Würde das Pinkelbecken adelte. Wenn aber die Schirn zum Supershop verkommt, ist das Urinal nur Urinal.

(…)

"Das gute Leben günstig", so wird es von einem Schild im Schirn-Supermarkt verheißen. Die Verheißungen des Museums sind so billig nicht zu haben.“

Bis 1. Dezember; der (schlurig lektorierte) Katalog von Hatje Cantz kostet 29,99 €

100% ige Zusammenfassung von Super! Billig! Kunst!

in: DIE ZEIT 41/2002 ... oder im Quelltext: wo man lernt, wie etwas gemacht ist

zeit.de/2002/41/Kultur/200241_shopping.html

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